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2020_07_22_facebook:

Im jüdischen Kalender wird aktuell getrauet über die Zerstörung des Tempels in Jerusalem.

Klagemauer vom zweiten Tempel in Jerusalem, zerstört 70. nach Christus (Bild: as/2008)

Dieser Rahmen war den Hintergrund des heutigen Zoom-Treffens mit Dr. Breslauer, angeboten von der Jüdisch-Christlichen Akademie Basel. Im Mittelpunkt standen Antworten aus dem Judentum auf die Frage: «Weshalb wurde der erste Tempel 586 vor Chr. und der zweite Tempel 70 nach Christus zerstört? – Die Antwort aus der Tradition sind klar. Das war keine Laune der Weltpolitik oder eine Folge der imperialen Politik von Assyrien oder Rom. Die Zerstörung des ersten Tempels war Folge von «Götzendienst, Unzucht und Blutvergiessen». Die Zerstörung des zweiten Tempels war die Folge von «nutzlosem Hass». – Sind diese religiösen Beobachtungen und Schlüsse bezüglich «Tun und Ergehen» bloss veraltete, voraufgeklärte Schlüsse, oder finden wir darin auch Folgerichtigkeit oder Anregung z.B. über die weltweite Plage von Corona nachzudenken?, so meine Frage.

Dr. Bresslauer erklärte aber zuerst die machtpolitischen Zusammenhänge, die zur Zerstörung des zweiten Tempels geführt haben: Aufstände gegen Rom 164 vor Christus. Dann 100 Jahre fruchtbare Zeit für die Juden. Diese sakrale Herrschaft der Hasmonäer dauerte bis 67 vor Christus, als sich zwei Brüder die Macht streitig machten. 63 vor Chr. hat Pompeius eingegriffen und die Freiheit der Juden beschnitten. So begannen nach 63 vor Christus für 100 Jahre die Probleme: Soll der Hohe Priester in Jerusalem ein Sadduzäer oder ein Pharisäer sein? Die Essener zogen sich nach Qumran zurück, wo sie den Messias hervorbringen wollten. Dann gab es noch die Zeloten, die den Aufstand gegen Rom betrieben und eine weitere Gruppe, die terroristisch mit Messern vorging. 

70 nach Christus war es dann soweit, dass Rom durchgegriffen hat. Die Belagerung und Zerstörung Jerusalems markiert die Trauerzeit über den Verlust des Tempels. Der von Herodes im hellenistischen Stil erbaute Tempel auf dem grossen Areal des Tempelbergs wurde total zerstört, die Juden in alle Welt vertrieben. Titus betrat das Allerheiligste, das eigentlich nur am Versöhnungstag vom Hohen Priester betreten werden durfte. So die politische Geschichte.

Im babylonischen Talmud (5. Jh. nach Christus) wurde nachgedacht über die Gründe der Zerstörung des Tempels, dem damaligen Identifikationsmerkmal des jüdischen Volkes und deren Religion. Da gibt es das Motiv von der Rückgabe des Tempelschlüssels an Gott, das nach Bresslauer auch aus dem hellenistischen Umfeld inspiriert ist. Beim Untergang von Troja musste die Trägerin der Tempelschlüssel diese den Gottheiten zurückgeben. So wird im babylonischen Talmud von jungen Priestern berichtet, die beim Brand des Tempels die Schlüssel in die Hand Gottes gaben. An die Hand Gottes, welche den Schlüssel empfangen hat, wird in der Liturgie dieser Tag erinnert. In diesen Gedenktagen der Tempelzerstörung sollen Juden nicht heiraten, Männer sich nicht rasieren, ab morgen soll für 9 Tage kein Fleisch, kein Wein genossen werden.
Im babylonischen Talmud wird eine weitere geniale Geschichte erzählt, wonach ein Lehrling seinen Meister perfekt betrogen hat, um an dessen Frau zu kommen. Wie der Meister aus finanzieller Abhängigkeit schliesslich dem Lehrling, der dessen Frau gekriegt hat, als deren Hausbeamter dienen muss und eine Träne in ein Weinglas fällt, hat Gott die Zerstörung des Tempels beschlossen.
Es ist das unmoralische Leben, das als Folge – vom gerechtem Walten Gottes bedingt – den Untergang des Tempels zur Folge hatte. Nicht Strafe, eher eine spirituelle Kettenreaktion. Asiatisch könnte man von Karma sprechen – das sage ich. Aus jedem Tun erfolgt ein Ergehen, aber im Hintergrund sind die Anforderungen Gottes, welche für Juden immer sehr hoch sind.

Wie Jesu Wort an Petrus aus dem Matthäusevangelium 16, 18-19: «Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben» zu verstehen ist, wurde nicht weiter erörtert, wäre aber eine eigene Diskussion über die Begründung der Kirche, der katholischen Schlüsselgewalt, interessant.

Wird es einen dritten Tempel geben? Dr. Beresslauer äussert sich dazu eher abweisend. «Was wollten wir da machen? Wer? Wie?»

Auf die Frage, ob das Judentum auch den himmlischen Tempel kenne als Urbild des irdischen Tempels, äussert er sich sehr ökumenisch, interreligiös. Er erwähnt die Apokalypse des Johannes, die vom himmlischen Tempel spricht, vom himmlischen Jerusalem, das am Ende der Tag auf die Erde herabkommt. Darin könnten wir uns finden.

Das sei eine jüdische Vorstellung, die uns mit dem Christentum eint, im Grunde seien wir eine Religion.

(23.08.2020)